Othello 2.0
Spieldauer: ca. 1 Stunde 50 Minuten, eine Pause
William Shakespeares Tragödie um Liebe, Eifersucht und Intrigen war für Amilcar Moret Gonzalez so prägend, dass sie ihn nicht mehr losließ, seit er – noch als Tänzer beim Hamburg Ballett – die Hauptrolle in John Neumeiers Ballett »Othello« verkörperte. Die Handlung seines »Othello 2.0«, dessen Libretto Marina Marchione lieferte, spielt in der Gegenwart, denn die zentralen Aspekte der literarischen Vorlage sind zeitlos und die Gesellschaft kämpft auch 400 Jahre später mit überraschend ähnlichen Problemen, etwa im Hinblick auf das der Tragödie innewohnende Moment des Rassismus. Entstanden ist auf diese Weise ein Ballett, das durch Verschiedenartigkeit sowohl der Musik als auch der Tanzstile gekennzeichnet ist und damit das Kieler Ensemble mit einer besonderen Herausforderung beschenkt.
Premiere: 2. April 2022
Hochdynamische Bewegungssprache (04.04.2022)
Shakespeares archetypische Geschichte transportiert Gonzalez‘ Ballett lässig in die moderne Oberklasse-Zeitlosigkeit zwischen Loft, Louvre und Hamam, treibt sie in eine hochdynamische Bewegungssprache, von unterkühlt bis hocherhitzt – und immer der wabernden Ambivalenz der Gefühle auf der Spur. Den großen Liebenden, Othello, bringt Solist Pedro Pires mit geschmeidiger Eleganz auf die Bühne, einen smarten Verführer, dem Marina Kadyrkulovas Desdemona erstmal ein durchaus eigenes Selbstbewusstein entgegensetzen kann, leicht und ungestüm in die neue Liebe hineintaumelnd. [...]
Didar Sarsembayev spielt den Intriganten aus zwischen Neid und Wut, mit hohen Sprüngen und kantiger Bewegung – ein eitler Egomane mit Hang zum Sadismus, etwa wenn er seine Freundin Emilia mit morbiden Messerspielen quält. [...] Im ruppigen Pas de deux wirken Sarsembayev und Gulzira Zhantemir als düsteres Spiegelpaar zu Othello und Desdemona. [...]
Und die von Angelo Alberto in schönem Purismus eingekleidete Kieler Compagnie leuchtet zwischen präziser Spitze und schwerblütigem Modern Dance einmal mehr wie befreit. [...]
Und die schlichten weißen Wände, die Bühnenbildnerin Eva Adler lautlos über die Bühne gleiten lässt, wischen die Bilder weg wie nie gewesen – oder wie für einen neuen Versuch.
Kieler Nachrichten - Ruth Bender