Balanchine – Lee – Ivanenko
ca. 1 Stunde 50 Minuten inkl. 2 Pausen
Selten zuvor hat das Ballett Kiel an einem Abend verschiedene Ideen und Stile in so geballter Form vereint wie in »Balanchine – Lee – Ivanenko«. Neben einer Uraufführung des Kieler Ballettdirektors werden Werke zweier herausragender Choreografen gezeigt, die erstmals in Kiel zu sehen sind.
George Balanchine (1904–1983) gilt als einer der bedeutendsten Choreografen des 20. Jahrhunderts und einer der wirkungsmächtigsten Wegbereiter des neoklassischen Balletts. Sein Name ist eng mit den Balletts Russes und vor allem mit dem New York City Ballet verbunden, das er gründete.
Das Ballett Kiel präsentiert Balanchines »Allegro Brillante« für fünf Paare zum gleichnamigen ersten Satz aus Pjotr I. Tschaikowskys unvollendetem 3. Klavierkonzert. Es stellt insofern ein typisches Werk des Choreografen dar, als es sich um ein kürzeres abstraktes Stück handelt, in dem Tanz und Musik im Mittelpunkt stehen. Balanchine selbst soll gesagt haben: »Es enthält in 13 Minuten alles, was ich über klassisches Ballett weiß.«
Der Brite Douglas Lee (geb. 1977) startete als Tänzer und später Erster Solist beim Stuttgarter Ballett und fiel dort schon früh durch seine eigenen Choreografien auf. Mittlerweile schaut er auf eine beachtliche Anzahl von Kreationen für Ensembles weltweit zurück.
Für und mit den Tänzer*innen des Ballett Kiel schuf Lee das Stück »Gatefall«, in dem es um die Reise von einem Ort zu einem anderen geht und vor allem um das Dazwischen. Die kaleidoskopartigen Annäherungen an das Thema werden von der träumerischen Musik für zwei elektronisch verfremdete Klaviere begleitet, die der australische Komponist Nicolas Sàvva eigens für die Choreografie geschrieben hat.
Abgerundet wird der Abend durch das neue, lebensbejahende Stück »Skoki Skoki« des hiesigen Ballettdirektors. Zu einem musikalischen Potpourri von Louis Armstrong, Ezio Bosso u. a. erzählt Yaroslav Ivanenko mit seinem Ballettensemble kleine Episoden rund um eine geheimnisvolle Box – mal magisch, mal humorvoll und vor allem voller Energie.
Im 3. Teil des Abends wird Stroboskoplicht eingesetzt.
Am 8.3., 12.3., 10.4., 22.5., 14.6. und 3.7. findet jeweils 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn eine Publikumseinführung im 2. Foyer statt.
Pressestimmen
Ein Augenschmaus (10.03.2025)
Es beginnt klassisch mit einem luftig-leichten Tanz von fünf Paaren, deren Tänzerinnen sich in den Armen der Herren wie Spieldosen-Ballerinen drehen. Perfekte Soli wechseln mit Gruppenauftritten, in denen die sprunggewaltigen Tänzer bisweilen in der Luft zu stehen scheinen. [...] In Kiel inszenierte der Amerikaner Paul Boos die Choreografie seines ehemaligen Lehrers – ein Augenschmaus.
Ganz anders kommt die Uraufführung von „Gatefall“ („Torsturz“) daher, eine energiegeladene, vergleichsweise düstere Arbeit des Briten Douglas Lee, choreografiert für das Kieler Ballettensemble zur melancholischen Musik von Nicolas Sávva. [...] Auf der Spitze einer schiefen Ebene, die zum Bühnenhintergrund ansteigt, liegt eine Tänzerin. [...] Langsam gleitet sie von ihrer erhabenen Position auf den Bühnenboden herab und taucht ein in eine futuristisch gewandete Gruppe (Kostüme: Angelo Alberto), deren Mitglieder in atemberaubendem, athletisch-akrobatischem Zusammenspiel die unglaubliche Biegsamkeit ihrer Körper unter Beweis stellen.
Einen heiteren Schlusspunkt setzt Kiels Ballettchef Yaroslav Ivanenko mit der Uraufführung „Skoki Skoki“, einer beschwingten Choreografie zur Musik von Louis Amstrong und Ezio Bosso. [...] Dann wirbeln sie umher – einzeln und miteinander, locker und leicht in einer Körpersprache, die den Spaßfaktor ihres Treibens unterstreicht.
Vielseitigkeit und Kreativität der Tanzkunst in all ihren Facetten (14.03.2025)
Im »Allegro Brillante« präsentiert das Ballett Kiel ein Zusammenspiel aus Präzision und Eleganz. Zur mitreißenden Musik von Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 3 entfaltet sich ein atemberaubendes Spiel aus Geschwindigkeit, Virtuosität und technischer Raffinesse. [...] Die Choreografie besticht durch ihren fließenden, musikalisch exakt abgestimmten Bewegungsfluss und demonstriert eindrucksvoll die balletttypische Verbindung von Anmut und Athletik. Die Musik kommt in dieser Produktion vom Band, doch das tut dem anmutigen Spektakel auf der Bühne keinen Abbruch. [...]
Die Sounds von elektronisch verzerrten Klavieren verarbeitet Douglas Lee unmittelbar in Bewegungen der Tänzer*innen. Diese sind in »Gatefall« ans klassische Ballett angelehnt – klar zu sehen, wenn Lee die Tänzerinnen auf Spitze tanzen lässt – doch auch völlig losgelöst davon. Die Choreografie erzählt keine zusammenhängende Geschichte, die Mitglieder des Ensembles haben nacheinander zu kurzen musikalischen Sequenzen alle ihren eigenen Auftritt. [...]
Für den amüsant-lustigen Abschluss des Programms »Skoki Skoki« von Ballettdirektor Yaroslav Ivanenko greift Bühnenbildnerin Eva Adler im wahrsten Sinne des Wortes tief in die Trickkiste. [...] Man merkt, dass Ivanenko das Haus und ›seine‹ Tänzer*innen kennt und diese Choreografie genau für diese geschaffen hat. Farbenfrohe Kostüme und Songs voller positiver Energie vermittelte die heitere Stimmung, die aus dem »Sommernachtstraum« – der ersten Premiere der Spielzeit – noch nachzuhallen scheint. Da passt es ins Bild, dass die Rückseite der Zauberkiste noch die Möglichkeit bietet, einen Mini-Tänzer mit erstaunlicher Sprungkraft zum Leben zu erwecken.
Mit »Balanchine – Lee – Ivanenko« bietet das Theater Kiel einen abwechslungsreichen Ballettabend, der die Vielseitigkeit und Kreativität der Tanzkunst in all ihren Facetten zeigt. Vom klassischen Glanz über experimentelle Klangwelten bis hin zu humorvollen Zaubereffekten – dieser Abend ist ein faszinierendes Erlebnis für alle Sinne. Das Ensemble stellt erneut unter Beweis, wie lebendig und vielseitig die Welt des Balletts sein kann.
Viel Beifall für den Dreiklang (10.03.2025)
Aliens, Tierwesen, Replikanten – alles ist möglich in der aufregend fremden Choreografie „Gatefall“. Der Brite Douglas Lee hat sie mit der Kieler Compagnie erarbeitet – Herzstück im neuen großen Ballettabend „Balanchine – Lee – Ivanenko“. [...] Sich strecken und verbiegen, unter den Lichtstreifen hindurchtauchen, mit denen Bühnenbildnerin Eva Adler den Raum in immer neue Sektionen teilt wie in einem rätselhaften Escape-Spiel. [...] In den hautengen Suits von Kostümbildner Angelo Alberto mit ihren radikal geometrischen Farbflächen wirken die Körper wie zusätzlich fragmentiert. Da scheinen Christopher Carduck und Virginia Tomarchio in einem fulminant verzwickten Pas de deux zur Skulptur zu verwachsen, erstarrt Marina Kadyrkulova in abstrakter Drehung, windet Keito Yamamoto die Beine in unmöglichen Kreiseln. Und der dynamische Alexey Irmatov gerät in einen spannenden Disput mit dem eigenen Körper. [...]
Dabei wirkt die so klassisch basierte wie technoid wirkende Tanzsprache wie eine konsequente Weiterentwicklung von George Balanchines unterkühlter Neoklassik. [...] Vom für den Meister typischen lichtblauen Fond im Bühnenhintergrund bis zu den architektonisch austarierten Figuren mit vielen Diagonalen und den über dem Kopf gerundeten Armen ist seine ganze Formensprache da in dem knapp klaren Stück, in dem sich auch die Struktur der Musik spiegelt. [...]
Den anregenden Ausflug in die Ballettgeschichte wendet Ballettchef Yaroslav Ivanenko zum Schluss noch einmal ins Spielerische. [...] Zwischen Westside Story, Latin Dance-Drive und Streetdance sorgen Tänzerinnen und Tänzer, rasant angeführt von Leisa Martinez Santana, für den vergnügten Drive. [...] Es gab viel Beifall für den Dreiklang, den die Compagnie mit schwebender Leichtigkeit und offensichtlichem Spaß am immer Neuen bewältigt.
Kieler Nachrichten - Ruth Bender